An alle liebe Menschen, die an meinem Einsatz am Kindergarten Mingun interessiert sind!
Der Durft der Begrüßungsblumen hängt nach einer knappen Woche immer noch im Zimmer.
Ich habe mich in meinem neuen Leben eingerichtet, im Alltag Gewohnheiten entwickelt, bin heimisch geworden in der Fremdsprache. Auch der Körper hat sich an den anderen Schlaf-Wach-Rhythmus gewöhnt. Ich schwimme wie der Fisch im Wasser, wenn auch als bunter, in der Gemeinschaft mit.
Nun ist es Sonntag und ich habe schulfrei. Es ist nur der Besuch von jungen Leuten aus Schweden angekündigt, die an der PDO (Klosterschule in Mandalay) Praktikum machen. Sie werde ich durch den Kindergarten führen. Ich genieße die Freizeit auf meiner Veranda sitzend. Der Bürgermeister hat mir wieder seinen schönen Tisch mit Sitzbank zur Verfügung gestellt. Es ist mein Esstisch, mein Schreibtisch und mein Feierabendbänkle. Ich war an diesem Tag zu Besuch bei einer burmesischen Dame, die in Frankfurt lebt und mit einem Deutschen verheiratet ist. Schon letztes Mal war sie zur gleichen Zeit auf Heimaturlaub und wir lernten uns kennen. Für mich ist es interessant, die Einschätzungen und Erklärungen einer Einheimischen zu hören, die auch unsere Kultur zum Vergleich hat. Als erstes macht sie immer Großputz in der Umgebung ihres Elternhauses, wenn sie heimkommt. Sie ist halt den deutschen Standard gewöhnt.
Heute, am Montag, war eine Studiosus-Reisegruppe mit 20 Personen da, die den Kindergarten besichtigt hat. Ich konnte Einiges zum Projekt erklären und die Kinder haben ihre Bewegungsspiele gezeigt. Dies kommt bei den Zuschauern immer gut an. Grad die kleinen Mädchen sind herzallerliebst anzuschauen, wenn sie so hingebungsvoll singen und lebhaft gestikulieren. Die Besucher sind immer auch großzügig und bereichern das Budjet.
Das Unterrichten ist ein Vergnügen. Die Mädels haben alle ihre Aufschriebe, die wir jemals angefertigt haben, parat in einer Mappe, ein Griff genügt, schon liegt das Entsprechende auf dem Tisch. Frage ich nach etwas Bestimmtem, rufen sie kichernd “schide, schide”, d. h. wir haben es schon, alles ist da, “haude, haude”, alles in Ordnung! Das neue Heft ist aufgeschlagen und die erwartungsvollen Blicke sind auf mich gerichtet. Da kann ich mit voller Power loslegen. Das Plakat mit dem Überblick über die Inhalte des Trainings hängt an der Wand: englische Überschriften, burmesische Untertitel. Da werden wir ein Thema nach dem anderen abarbeiten, flexibel angeglichen an die jeweilige Situation in der Gruppe. Wenn dann abends um 9 Uhr der Unterricht beendet ist, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück. Seit neuestem habe ich ein Smartphone, das ich für die Zeit meines Aufenthalts leihen konnte. Dies ist notwendig, um eine Internet-Verbindung herzustellen. Somit kann ich jederzeit an mein Postfach, um nach den eingegangenen mails zu schauen. Man braucht halt die Nabelschnur zur Heimat, so wohl ich mich hier auch fühle. Freizeitmöglichkeiten sind hier eh begrenzt. Hie und da lese ich, doch die Literatur muß ich mir für neun Wochen gut einteilen. Ich habe auch mein Strickzeug dabei. Zusammen mit einer Freundin stricke ich seit zwei Jahren laufend Socken, wobei der Verkaufserlös zugunsten des Kindergartens Mingun geht. Manchmal nehme ich hier das Strickzeug mit in mein Frühstückslokal, wo ich meist von halb acht bis halb neun sitze. Wer meine früheren Berichte gelesen hat, weiß, dass sich in diesem teashop der Nabel der Welt befindet. Ich habe ihn nahezu unverändert vorgefunden. Die Vögel, die im Ventilator genistet haben, sind mittlerweile ausgeflogen und das Baby, das damal in der Tuchwiege lag, die am Dachbalken befestigt war, ist eine nette Zweijährige geworden. Sie spricht viel, kontaktet mit allen, winkt, wirft mit Handküssen um sich und nimmt gelegentlich bereits das Geld der Gäste entgegen, bringts der Mama und läuft mit dem Wechselgeld an den Tisch zurück. Für meine Tafel Schokolade mußte sie sich artig bedanken. Es gibt Stammgäste, die ich jeden Tag zur gleichen Zeit dort antreffe, wie den jungen Doktor aus der neuen Krankenstation, unseren Schreiner und den Oberbürgermeister, den ich vom Treffen der wichtigen Männer her kenne. Er kommt mit dem Moped, besetzt seinen Stammplatz, Mafia-Sonnenbrille auf, Pokerface. Sieht er mich, hebt er lässig die Hand und schenkt mir ein Lächeln. Dann schiebt er die Brille in die Haare und vertieft sich zum Zeitunglesen ins Smartphone. Gestern bestellte sich unser Scheiner einen Kaffee, ging zum Tresen und nahm sich eine leere Schachtel, die innen weiß beschichtet war, und zerriß sie so, dass sie für seine Notizen eine Schreibunterlage ergab. Dann begann er mit der Berechnung des Holzbedarfs für unsere Bücherei, neben sich die Skizze von Barthel Schmitz.
Im Hintergrund läuft im Fernsehen eine Tierdokumentation über die Wildnis Afrikas. Der Timer für das TV liegt bereit zur freien Verfügung. Über dem Tresen und dem Kühlschrank ist ins Haus eine zweite Etage eingebaut. Dort befindet sich das Schlafzimmer der Wirtsleute, man sieht das Moskitonetz hängen. Sie machen abend früh zu, weils morgens bald losgeht. Da höre ich schon um fünf, nachdem die Mönche ihren Gesang beendet haben, den Bäcker den Hefeteig schlagen. Es werden daraus leckere Schmalzstriezel gebacken, die es nur für Frühaufsteher gibt. Ich bestelle mir gelegentlich am Vortag welche, was mir zum Spaß der Umstehenden in birmesischer Sprache gelingt. Die Beobachtungen, die man von dieser exponierten Stelle aus machen kann, werde ich in einem späteren Bericht noch beschreiben.
Am Mittwoch waren Jojo und ich in Mandalay. Ich habe an der PDO vor Win Aung meinen Knicks gemacht. Er hat schon einen Tag vorher, als Jojo zur wöchentlichen Gesamt-Teamsitzung dort war, für meine Arbeit Reklame gemacht. Es wollen einige Junglehrer meine Methoden kennenlernen. Ich sagte, dass das nicht so ohne weiteres möglich ist, da wir in der Ausbildung bereits fortgeschritten sind und sie so konzipiert ist, dass man nebenbei am Kind arbeitet. Es ist aber angedacht, dass meine Schülerinnen die Erzieherinnen des PDO-Kindergartens während der Sommerferien schulen werden. Wir waren dann noch Geldwechseln, da ja der Schreiner für den Holzkauf Bares braucht. Die EC-Karte ist hier noch nicht erfunden. Sie akzepieren in der Wechselstube nur makellose Geldscheine, jeder kleinste Riss oder Filzstiftfleck ist ein Grund, den Schein nicht zu tauschen. An diesem Tag gabs dann abends, als ich um 10 Uhr im Zimmer vor dem PC saß, einen kleinen Tumult. Es belagerte lautstark ein alter, verwirrter Mann die Bank vor meiner Tür. Noch bevor ich etwas unternehmen konnte, strömten in kürzester Zeit 20 Leute aus der Nachbarschaft ins Gelände, um ihn heimzubegleiten und mich nach meinem Befinden zu fragen. Er ist dafür bekannt, dass er durchs Dorf geht und sich einfach in irgendeinem Haus zum Schlafen niederlegt. Sie berieten lautstark, was zu tun ist. Nun habe ich wieder einen Bodygard, den lieben Htat Kyi, den Ältesten des Scheiners. Er muß im Kindergarten schlafen, um andere im Bedarfsfall alamieren zu können.
Die Nacht auf den Donnerstag hat es geregnet und dann während des ganzen Tages leicht genieselt. Es kamen deshalb nur die Hälfte der Kinder. Da konnten wir gleich mit der reduzierten Gruppe das neue Singspiel ausprobieren. Der birmesischen Text fehlt noch, doch sie sind auch nach deutschem Text als Vögel mit ausgebreieten Armen weit übers Feld geflogen.
Heute ist Feitag und ich werde zum ersten Mal die volle Truppe im Unterricht begrüßen können. Vormittag kamen die vier Helferinnen von der Uni zurück, an der sie als Teilzeitstudenten seit September waren. Es sind sympatische junge Mädels, die sicher im praktischen Teil gut zu integrieren sind. Den theoretischen Inhalt meines ersten Tainings hat ihnen Kyi May Win, die älteste und erfahrenste Erzieherin zusammen mit Dudu, bereits mit Hilfe meines ausgearbeiteten Readers beigebracht: für die Lehrerin und die Schülerinnen eine tolle Übung und eine Einstimmung auf meinen diesjährigen Aufenthalt.
Morgen, am Samstag ist kein Kindergarten, nur abends noch Unterricht.
Am Sonntag werde ich nach dem Frühstück zur “White Pagoda” hinaufsteigen und mit einem Bündel Räucherstäbchen meinem universalen lieben Gott die Refernz erweisen. Danach gehe ich zu Myat Kyi Win, um ihr beim Kochen zuzuschauen und eventuell auch was zu schnippeln. Abends habe ich zu einer Party eingeladen. Ich zeige die Bilder von unseren Benefiz-Festen und die Powerpointpräsentation “Mingun in Progress”, die ich auf dem Stick mitgebracht habe. Vorher überreiche ich die Certifikate an die Schülerinnen des letzten Trainings. Ich habe sie zurückgehalten, weil ich erst sehen wollte, ob sie meine Unterrichtsinhalte auch in der Praxis umsetzen. Anschließend gibts natürlich Snacks und “Chocolate”, bei Bedarf auch noch eine Runde UNO oder Mensch-ärgere-dich-nicht. Dann ist schon die zweite Woche vorbei, die Zeit verfliegt, doch wir nutzen sie.
Wenn es Fragen zu einem speziellen Thema gibt, so will ich sie gern in einer individuellen mail beantworten oder, wenn ich denke, dass sie von allgemeinem Interresse sind, das Thema in einen zukünfigen Bericht aufnehmen.
Es grüßt alle von Herzen aus dem kleinen Mingun am großen Irrawady, Christine