Nun ist die sechste Woche fast vorbei und wir befinden uns in der Phase des Endspurts. Annette ist fröhlich angekommen. Ihr Boot wurde begleitet von einer Gruppe springender Flussdelfine, die es nur auf diesem Streckenabschnitt des Irrawady gibt. Meine Schülerinnen ließen es sich nicht nehmen, mit mir am Hafen zu warten und Blumenkränze zu überreichen.
Die Arbeit ist zum größten Teil getan, es bleibt unter anderem noch die Vorbereitung des Elternmeetings, das kommenden Mittwoch stattfindet. Es werden neben den Eltern die Mitglieder des Kindergartenkomitees eingeladen. Die Erzieherinnen haben bereits Ideen für diese Veranstaltung gesammelt. Sie sind nach drei Elternversammlungen schon ganz routiniert und nicht mehr so aufgeregt wie beim ersten Mal vor gut einem Jahr. Dann werden wir noch einige Aufschriebe von Gedichten und Liedern ergänzen, damit sie für die Beschäftigung mit den Kindern eine reiche Auswahl haben. Zusammen haben wir einen Rahmenplan erstellt für die zwei Jahre, während der sie die Kinder betreuen. Sie haben dieses Gerüst nun mit kulturspezifischen Angeboten für die Kinder zu füllen. Am Donnerstag haben wir schon einen kleinen Rückblick auf unsere gemeinsame Arbeit getätigt. Sie haben meine Vorbereitung gelobt und haben die Ordner von diesmal mit dem dünnen Ordner von letztem Mal verglichen und sich selber als “very busy” eingestuft. Ich habe sie natürlich wiederum gelobt und nicht verschwiegen, dass ich auch manchmal enttäuscht war, “aber nur zwei Minuten in 6 Wochen”. Am kommenden Donnerstag werden wir die große Zusammenfassung machen und Absprachen für die Internetkontakte treffen, denn ich möchte laufende Berichte über den Fortgang und die Umsetzung des Gelernten. Natürlich coache ich auch weiterhin wie bisher übers internet, wenn sie Unterstützung brauchen. Sie haben ja jetzt den Laptop und das neue Büro, das sind tolle Voraussetzungen.
Kurz vor meiner Abreise werde ich noch Besuch von der Bereichsleiterin des SES fuer Suedostasien (Frau Margret Motejl ) erhalten. Sie wird die SES-Experten, die sich zur Zeit zahlreich an der PDO Klosterschule in Mandaly aufhalten, treffen und uns alle zum Essen einladen. Da komme ich dann in Kontakt mit Gleichgesinnten. Es wird sicher Sonntag, bis wir in Mingun Abschied nehmen können. Es ist leider immer noch nicht entschieden, ob die Erzieherinnen uns nach Bagan begleiten können. Am Donnerstag war ich bei der vierten Schülerin, einer neuen Helferin, eingeladen und immer fragen sie hoffnungsvoll, ob ich wiederkomme.
Es wird dann noch eine Abschiedsrunde geben mit dem Polizeichef, dem Bürgermeister der Gesamtgemeinde (Bodo ist nur der Bürgermeister von Sharyong Village) und weiteren Honoratioren. Solche Treffen gehören zu den politischen Korrektheiten in diesem Land, das weiß ich seit meinem letzten Einsatz. Dann werde ich es nicht versäumen, diesmal den zweiten Kindergarten des Dorfes anzuschauen. Bis vor kurzem wusste ich gar nicht, dass es noch einen gibt. Annette und ich werden als Touristen dort auftauchen, schlaue Fragen stellen und natürlich eine kleine Spende übergeben. Bei uns im Kindergarten heißt das “Bananengeld”, da wir von dem geschenkten Geld, das Besucher hie und da hier lassen, frische Früchte fuer den Nachmittagssnack kaufen. Ich bin dann noch in eine Klosterschule zwei Dörfer weiter eingeladen worden von einem jungen Mönch, der dort unterrichtet und tolles Englisch sprach. Er war mehrere Monate in Europa unterwegs, hat Dänisch gelernt und ist vom finnischen Bildungssystem total angetan. Er hat die Werte, das “Leitbild” wurde man heute sagen, seiner Schule beschrieben: kritisches Denken, Erziehung zum friedlichen Zusammenleben und Einsatz fuer das Land. Laut seiner Aussage haben sie Poster von Nelson Mandela, vom Dalai Lama und natürlich von Aung San Suu Kyi aufgehängt. Das Land birgt viele schlaue Köpfe mit einer weltumspannenden Orientierung, habe ich mir gedacht, als er auf sein Moped sprang und noch lange winkte.
Nun will ich noch nach dem morgendlichen Ohrenschmaus vom letzten Bericht einen Augenschmaus liefern mit den Beobachtungen, die morgens möglich sind, wenn ich beim Frühstück sitze. Das, was für München der Stachus und für Paris der l’etoile ist, ist für Mingun diese Kreuzung mit meinem teashop, eben der Nabel der Welt. Ab fünf Uhr wird dort Teig zubereitet von einem jungen Bäcker, der über ähnliche feinmotorische Akrobatik verfügt wie ein Pizzabäcker bei uns zu lande. Dann gibt es mehrere fleißige Frauen, die einen Kaffee brauen mit ganz viel Kondensmilch aus großen Dosen. Dieser Kaffee wird dann für die Leute, die nicht im Café sitzen wollen, in eine Plastiktüte gekippt und für kleines Geld über die Theke gereicht. Es gibt viele Stammkunden, einzelne, Gruppen, Familien. Natürlich spielt sich das ganze Familienleben der Besitzer im öffentlichen Raum ab. Der sieben Monate alte Säugling wird durch die Bänke gereicht, geknuddelt, in die Backen gezwickt und in die Luft geworfen. Wenn er müde ist, wird er in das Stofftuch gelegt, das an den vier Ecken mit Seilen an der Decke befestigt ist. Dann tritt die Oma in Aktion, zieht am Wiegenband und schaukelt das Kind in den Schlaf. Dass auf der Kreuzung das Leben tobt, stört das Kind offenbar nicht. Dort knattern die Mopeds um die Ecke, besetzt mit bis zu fünf Leuten, von klein bis groß, oftmals gefahren von Frauen. An einer oder manchmal auch an zwei Händen baumelt in Plastiktüten der Einkauf vom Markt : ein Fisch, Gemüse, eine Suppe und ein oder mehrere Tüten Kaffee. In einer viertel Stunde sieht man da gefühlte 50 Tüten vorbeifahren. Dann sind noch die Fußgänger unterwegs, Frauen mit Körben auf dem Kopf mit allem erdenklichen Inhalt, von Astern samt Wurzel bis zum Gemüse aus dem eigenen Garten. Lautstark werben sie um Kunden. Dann ist natürlich die ganze Schülerschar unterwegs, zu Fuß in Gruppen, Mädels mit den schönsten Zopffrisuren, täglich anders geflochten und dekoriert, Jungs mit Fahrrädern jeglicher Art, oft den Freund auf dem Rücksitz. Dazwischen wandeln die Mönche, mal eine Gruppe im gesetzten Alter in gemessenem Schritt, mal Kindermönche, die sich an den Händen halten. Sie halten ihre Schale unter der Robe mit der sie ihr Essen einsammeln. Alle werden eingenebelt vom Staub, den die Motorradtaxis aufwirbeln, die auf ihrem Anhänger so an die 20 Schulkinder in ihrer weiß-grünen Schuluniform befördern. Gelegentlich ist morgens auch schon ein blankgeputzter schwarzer oder weißer Tojota unterwegs mit reichen Chinesen. Zwei mal pro Woche schiebt sich ein mächtiger Reisebus durch die engen Sandstraßen von Mingun, ein völlig fremdes Bild. Es steht in starkem Kontrast zum Bauer, der hie und da mit seinen beiden Kühen, geführt an einem Nasenstrick, vorbeizieht. Und zwischen allen Passanten streunen die Hunde, alle klapper-dürr. Aus dem Café werden sie konsequent vertrieben, doch sonst sind sie überall. Im Kindergarten habe ich den Kampf gegen sie nicht nur 0:1, sondern 0:10 verloren. Sie sind trotz neuer Mauer und Tor laufend auf dem Gelände und manchmal auch im Kindergartenraum. Die Erzieherinnen sind unempfindlich gegen sie, ich habe meinen Unmut begründet kundgetan, doch hat dies nicht gefruchtet. Sie sehen sie als Hausgenossen, viele sind ihnen bekannt aus der Nachbarschaft. Dies habe ich hinzunehmen wie auch die etwas andere Sicht von Ordnung und Reinlichkeit. Da stößt man sich dann nach einigen Wochen Aufenthalt die Hörner ab. Sie haben halt auch widrige Umstände mit all dem Sand und Staub, der zum Fenster herein weht. Ebenso ist es mit dem Müllproblem. Es gibt ja keine Müllabfuhr, alles, was im Kindergarten eingesammelt wird, wird irgendwo wieder ausgeleert.
Soweit nun die neuesten Nachrichten aus meinem Einsatzort. Heute, Samstag, gibt es abends noch lesson und morgen auch. Wir sind halt fleißig. Mein Gast Annette, läuft da unkompliziert mit, ab Montag auch im Kindergarten.
Viele herzliche Grüße aus dem kleinen Mingun am großen Irrawady, Christine