Liebe Freunde, liebe Interessierte am Projekt, liebe Unterstützer des Kindergartens in Mingun,
Dies waren meine letzten Tage in Mingun.
Am Montag verlegten die zwei Maurer noch die restlichen Fliesen im Lehrerzimmer. Nachmittags verfugten sie den Boden. Sie haben ihn glänzend geputzt hinterlassen. Am Dienstag entfernten die Lehrerinnen in der Mittagspause den übrigen Staub und Schmutz. Die neuen Möbel konnten hineingetragen werden. Der fehlende Schrank und die Stühle werden in den kommenden Wochen ausgeliefert. Somit ist diese “Baustelle” erfolgreich abgeschlossen. Einen herzlichen Dank an den großzügigen Spender!
Am Montagmittag war die Trauerfeier für eine 58jährigen Frau aus der Nachbarschaft. Das war meine dritte Beerdigung, die ich in Mingun erlebt habe. Ich kannte die Toten, die alle das 60. Lebensjahr nicht erreicht haben. Es waren die Mütter und der Vater meiner Schülerinnen und Leute aus meinem engsten Umkreis. Jedesmal hat es mich psychisch und physisch mitgenommen. Der Weg des Trauerzugs zum Friedhof vor dem Dorf ist mehr als einen Kilometer lang, die Sonne brennt unerbittlich, man hat steinige Gassen zu überwinden und läuft zum Teil knöcheltief im heißen Sand. Die Rituale in Zusammenhang mit einer Einäscherung sind beeindruckend. Dieses Mal waren 58 Mönche aus den Minguner Klöstern anwesend, für jedes Lebensjahr der Verstorbenenen ein Mönch. Nach einer solchen Zeremonie muß man sich zuhause erst mal wieder sammeln. Der Unterricht war vorbereitet, so konnte ich ins Gardencafe abwandern. Man hat dort seinen Frieden und eine saubere Umgebung. Das Personal ist sehr bemüht, allen Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten. Der Barista überrascht mich immer wieder mit neuen Verzierungen auf meinem Cappucino und informiert mich über die Zahl der Gäste und den Umsatz. Die Toilette ist die schönste in ganz Mingun: ein Wasserspülklosett, das funktioniert; schaltet man das Licht ein, startet der Ventilator; ein Treteimer, ein Spiegel und schneeweiße Handtücher, zum Teil noch gerollte Ersatzhandtücher in einem Bastkörbchen sind vorhanden; ein Seifenspender ist über einem modern geformten Waschbecken installiert, der Boden mit Schiefer gekachelt, an der Wand kleben Fliesen mit Bambusmuster. Mit einem Wort: wunderschön, man möchte glatt dort einziehen.
Kindergarten
Der Kindergarten läuft wieder so, wie ich es erwarte. Ich setze hohe Maßstäbe. Oft kann ich die jungen Frauen loben. Bei einer Besprechung mit Kyaw Kyaw haben wir herausgearbeitet, dass er sich wohl in letzter Zeit zu wenig um den Kindergarten gekümmert hat. Sie fühlten sich vernachlässigt. Sein Augenmerk lag mehr auf der neuen Grundschule. Er ist ja neben seiner Tätigkeit für die Patenkinder des Fördervereins “Help Myanmar” auch für alle Angelegenheiten, die den Kindergarten und die neue Grundschule betreffen, zuständig. Ab sofort wird er wieder an jeder Freitag-Teamsitzung im Kindergarten teilnehmen und sich den Wochenplan für die kommende Woche vorlegen lassen. Die Erieherinnen haben mir versprochen, regelmäßig per email über ihren Alltag zu berichten. Beim Abschlußgespräch zeigten sie eine beeindruckende Bildershow auf ihren Smartphones mit vielen pädagogischen Aktionen des letzten Jahres. Der Kindergarten arbeitet, selbst wenn er schwächelt, immer noch um Welten besser als alles, was sich hier sonst in der pädagogischen Landschaft tummelt. Ebenso wie mit den Erzieherinnen im Kindergarten habe ich auch mit den Lehrerinnen eine Abschlußbesprechung gemacht, nachdem wir das neue Lehrerzimmer noch mit einer Pinnwand und mit Aufhängemöglichkeiten ausgestattet hatten. Sie werden ihrem Wunsch entsprechend weiteres Mathematerial für die Kinder erhalten. Zum Glück kommt Mitte Februar jemand aus meinem Bekanntenkreis nach Mandalay, dem ich diese Dinge anvertrauen kann. Ende Februar ist das Schuljahr und Kindergartenjahr zu Ende. Im Juni fangen sie nach der heißen Zeit wieder an.
Mütterschulung
Bei den Frauen aus der Basisgruppe, die sich als Mentorinnen für die Mütterschulung zur Verfügung gestellt haben, unterrichtete ich am Dienstag das letzte Mal. Wir sind planmäßig mit dem Stoff durchgekommen. So kann er weitergegeben werden beim Training mit den Dorfmüttern, das nun täglich stattfindet. Es blieb am Donnerstag noch Zeit, mit ihnen “Manöverkritik” zu üben. Auch einige Dorfmütter waren dabei. Alle haben sich frei geäußert über das Gebotene. Manche setzen die neuen Informationen im Bereich Ernährung um, andere bedauerten, dass ihre Kinder schon größer sind und sie das Training nicht früher hatten. Übereinstimmend kamen sie zu dem Ergebnis, dass eine Lehrerin am letzten Elternabend dieser Saison im Kindergarten das Training vorstellen und bei den jungen Müttern Werbung machen soll. Wenn genügend Interessentinnen zusammenkommen, wollen sie den Kurs wiederholen. Die Kopiervorlagen in burmesischer Schrift liegen gesammelt vor. Die Ideen zur Bespaßung zum Unterrichtsende haben wir schriftlich festgehalten, sodaß sie jederzeit eingesetzt werden können. Die dazu nötigen Materialien können sie im Kindergarten ausleihen. Insgesamt denke ich, dass die Basisgruppe vom neuen Wissen am meisten profitiert hat. Die Teilnehmerinnen sind Frauen, die zum größten Teil einen burmesischen Universitätsabschluß haben und hohe Motivation für Neues mitbringen. Mir hat es besonders mit diesen Frauen, aber auch mit den einfachen Frauen vom Dorf viel Spaß gemacht. Meine Zielgruppe war bei all meinen Einsätzen hier das Kind mit seiner Familie. Diesmal standen die Mütter im Mittelpunkt. Die Mütter tragen in den Familien eine große Last. Insgesamt ist das Leben hier hart, ein ständiger Kampf. Die Menschen haben viele Sorgen, vor allem Geldsorgen, weil das regelmäßige Einkommen fehlt. Wir in Bayern sagen: “Unter jedem Dach ein Ach!” Das Ach beginnt hier schon beim Dach, wenn es nicht wasserdicht ist. Die meisten Familien leben von der Hand in den Mund. Wie ich schon erzählt habe, sind sie kreativ im Erfinden von Zusatzeinkünften. Es gibt die fliegenden Händlerinnen, die neben den Touristen herlaufen und Souveniers verkaufen. Dann gibt es auch Frauen, die Gekochtes oder ihr Gemüse vom Garten anpreisen. Eine große Gruppe von Frauen bestreitet mit dem Verkauf von Blumen oder Räucherstäbchen, die in der Pagode geopfert werden, ihren Lebensunterhalt. Es verdienen sich auch Frauen damit Geld, dass sie für begüterte Familien die Wäsche waschen. Ein Jugendlicher hat sich mal mit Holzhacken bei uns im Hof ein Taschengeld verdient. Täglich steht ein Eisverkäufer bei Schulschluß vor dem Tor. Manche Männer gehen in den Wald zum Jagen und verkaufen das sehr beliebte Wildfleisch, das ein mehrfaches von üblichen Fleisch kostet. Man geht auch regelmäßig zum Fluß zum Angeln. Der Fang wird in den Familien verzehrt oder verkauft. Es gibt professionelle Fischer, deren Frauen die Fische auf dem Markt verkaufen. Es wird auch Landwirtschaft betrieben. Sie bauen Erdnüsse und Mais an und betreiben Kuhhaltung. Die Landwirtschaft hier hat es schwer. Die Felder sind ja in der Regenzeit zum großen Teil überschwemmt. Ist das Wasser wieder zurückgegangen wächst das Gras sehr spärlich, weil es ja monatelang sehr heiß ist. Die Kühe sind mager, Milchprodukte gibt es zu gut wie keine. Findige Landwirte spannen ihre Ochsen vor einen einachsigen, hochrädrigen Karren und befördern damit die fußmüden Touristen von der Dorfmitte zum Schiffsanlegeplatz. Ganz keck steht auf der Bambusmatte, die als Sonnenschutz über den Wagen gespannt ist: “Taxi”.
Pagodafestival
Am Mittwoch und Donnerstag war Pagodafestival. Es war ja wieder Vollond. Aus diesem Grund gab es bereits ab Dienstagmorgen ganztätig Schlagermusik über Lautsprecher zum allseitigen Genuß fürs ganze Dorf. Mein Pech ist, dass die Pagode 100 Meter von meinem Zimmer entfernt ist. Unterbrochen wird die Musik durch Durchsagen, welche Familie welchen Betrag für das bevorstehende Fest gestiftet hat. Es wird erwartet, dass jedes Haus 1000 Kyat, d. h. 60 Cent beisteuert. Damit werden die Lebensmittel gekauft, um das ganze Dorf zum Essen einzuladen. Am Mittwochnachmittag geht man fein gekleidet zur Pagode. Dort sind schon die Spenden an die Mönche aufgebaut. Einzelne Familien stiften verhältnismäßig große Summen, manche geben Stoff für die Mönchsrobe, andere nur einpaar Handtücher oder Küchenuntensilien für die Klöster. Alles wird an Metallgestelle gehängt, versehen mit dem Namen der Spender. Kyaw Kyaws Familie hat an einen jungen Baum, der in die Halle gestellt wurde, eine Geldkette mit 200-Kyat-Noten gehängt. Um den Wurzelbereich wird ein Zettel geklebt mit den Namen des Spenders, dem seiner Frau und seines Kindes und seiner verstorbenen Eltern. Es unterliegt der “sozialen Kontrolle”, wer wieviel spendet. Es gehört sich, den Klöstern gegenüber großzügig zu sein. Die Klöster haben, von alters her und bis heute, in diesem Land Aufgaben übernommen, für die eigentlich der Staat zuständig wäre. Aus diesem Grund genießen die Klöster großes Ansehen. An diesem Fest ist es auch üblich, befreundete Familien zu besuchen. Bei einem meiner früheren Aufenthalte haben wir zehn Familien abgeklappert. Dieses Mal waren es nur sieben. Man bekommt überall die gleichen selbstgemachten Traditionssüßigkeiten, auch Erdnüsse und Bananen angeboten, dazu Tee. Nach einer kurzen Unterhaltung von zehn bis fünfzehn Minuten verabschiedet man sich und geht zum nächsten Haus. Meine Begleiterinnen wissen, wo man erwartet wird. Der Donnerstag ist der Haupttag des Festes, an dem den Mönchen am frühen Morgen die Geschenke übergeben werden. Ich bin schon um 4.20 Uhr zu meiner größten Freude mit Musik geweckt worden. Noch bei Dunkelheit und bei Regen ging eine Reihe von roten Roben die Straße entlang zur Pagode. Nach einiger Zeit zogen die Mönche in Gruppen oder einzeln mit ihren Geschenken wieder ab. Am Abend sprach ein wichtiger Abt zu den Menschen, um neun Uhr war das Fest zu Ende. Es herrschte gespenstische Stille an meinem letzten Abend in Mingun, nach all dem Lärm.
Ein letztes Mal zum Teashop ..
Heute, am Freitag, war ich das letzte Mal in meinem geliebten Teashop, wo ich mir eine doppelte Ration Itschaque gönnte. Danach bin ich noch zur weißen Pagode hinaufgegangen, Blumen geopfert, Räucherstäbchen angezündet und über vieles nachgedacht. Bei meiner Rückkehr haben vor meinem Zimmer schon ein paar Besucher mit Geschenken gewartet. Sie sind einfach großzügig, obwohl sie nicht viel haben. Das Schenken ist Bestandteil ihrer Kultur, etwas abzulehnen, würde sie beleidigen. Um elf Uhr fand im Trauerhaus der kürzlich Verstorbenen ein Essen für die Dorfbevölkerung und eine Gruppe Nonnen statt. Es ist üblich, dass sieben Tage nach dem Tod eines Menschen zu einer solchen Veranstaltung eingeladen wird. Man sagt ja, erst nach dieser Zeit verläßt der Verstorbene sein Haus und sein Dorf endgültig.
Alles in Allem: Eine große Erfolgsgeschichte
Ich habe 2012 vom Senior Experten Service in Bonn den Auftrag erhalten, das Personal im Kindergarten Mingun auszubilden. Diese Aufgabe habe ich mit dem jetzigen Aufenthalt zum Abschluss gebracht. Es war mein letzter Einsatz in Mingun. Ich habe insgesamt ein halbes Jahr hier gelebt und gearbeitet. Die räumlichen und besonders die sanitären Gegebenheiten haben mir wieder das Äußerste abverlangt. Doch habe ich gern, der Sache zuliebe, für diese begrenzte Zeit mein Ego zurückgestellt. Im Gegenzug geben die Menschen hier ja alles, was ihnen möglich ist. So ziehe ich wieder, in jeder Beziehung reich beschenkt, von dannen. Um 15 Uhr wird mich Kyaw Kyaw mit dem Auto einer lieben Kursteilnehmerin zum Flughafen bringen. Es haben mehrere Personen Interesse bekundet, uns zu begleiten, doch der Platz ist begrenzt. Ich hoffe auf einen guten Rückflug und werde dann in München den deutschen Winter zu spüren bekommen.
Es grüßt zum allerletzten Mal aus dem kleinen Mingun am großen Irrawady,
21. Dezember 2018 Christine Kießling.
Alle Fotorechte Christine Kießling und Förderverein Help-Myanmar e.V.
Seit 2012 war Christine Kießling einmal jährlich in Mingun. Sie hat großartige Arbeit geleistet nicht nur für den Kindergarten, sondern auch für die Gemeinde Mingun.
Ihre Berichte kamen mit großer Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit an, versehen mit Photos und den dazu passenden Beschriftungen. Das hat uns die Arbeit der Veröffentlichung sehr erleichtert.
Würden wir alle Beiträge Christines sammeln, so käme ein schönes, reich bebildertes Buch, ein gut geschriebenes Buch und ein Buch mit vielen vielen Miniaturen über das Dorfleben in Mingun dabei heraus. Fast alle Aspekte des sozialen Lebens in Mingun kommen zur Sprache und man kann die Entwicklung der Gemeinde, des Kindergartens und der Schule nachlesen. Also auch eine Art Dorfchronik aus der Sicht einer engagierten SES-Expertin. Wir danken für die zuverlässige Zusammenarbeit.
4. Januar 2019, Förderverein Myanmar e.V.