Liebe Freunde und Unterstützer des Projekts Kindergarten Mingun!
Meine vier Wochen Einsatzzeit sind schnell vergangen. So kurz war mein Aufenthalt noch nie, doch die Dauer war der Aufgabe angemessen. Wir sind nun an diesem Wochenende im Endspurt. Bis Freitag hatten die Lehrer alle Lektionen durchgenommen, es hat sich wunderbar gefügt. Das kann man von zuhause aus bei der Planung nicht vorhersehen. Die Schülerinnen hatten auch noch während des Unterrichts Interesse an weiteren Themen bekundet. So habe ich Unterlagen zum Thema “Schulreife”, “Linkshändigkeit” und “Vernachlässigung und Verwöhung in der Erziehung” erstellt. Das Thema Vernachlässigung tauchte auf, weil sie natürlich auch Problemfamilien im Dorf haben, die keine Hilfe annehmen. Der Versuch, einen Jungen aus einer solchen Familie in den Kindergarten zu holen, scheiterte an der Bereitschaft, das Kind regelmäßig und gewaschen dort abzugeben. Ich habe ihnen trotzdem diese Kinder ans Herz gelegt, da sie nur durch Erziehung und Bildung aus dem Kreislauf der Armut befreit werden können.
Bei der Schlußbesprechung mit den Schülerinnen hat Kyaw Kyaw nach ihren Erfahrungen bei der Schulung gefragt und sie aufgefordert, auch Kritik zu äußern. Sie waren alle vom neuen Wissen begeistert und wünschen sich eine Fortsetzung dieser Themen. Bei der abendlichen Besprechung mit den Lehrern war die gleiche Begeisterung zu spüren. Beide waren hochzufrieden mit dem Ergebnis des Trainings. So fällt es mir leicht, sie in die Unabhängigkeit zu entlassen. Sie sind nun selbständig und können die Schulung jederzeit mit einer anderen Zielgruppe wiederholen. Wir haben auch über die Werbung für dieses Training in den nächsten Sommerferien gesprochen, unter anderem auf “face book”.
Die Schülerinnen erhalten ein von ihren Lehrern unterschriebenes Zertifikat für ihre erfolgreiche Teilnahme. Ich werde den Lehrern für ihre Lehrtätigkeit ebenso ein Zertifikat ausstellen. Mit stringentem Zeitmanagement will ich auch diesmal wieder alles schaffen.
Der Besuch auf dem Nightmarket in Mandalay fiel für mich flach, da ich seit einer Woche ziemlich erkältet bin. Die Kindergartentruppe wollte dort besonderes Gemüse einzukaufen. Heute, am Sonntag, wird wir nach der Übergabe der Zertifikate zusammen gekocht. Ein Abschlußfest dieser Art hatte ich noch nie, ich bin gespannt.
Es geht mit dem Bau der Grundschule in schnellen Schritten voran. Die Maurertruppe kommt sieben Tage die Woche morgens um sieben mit den Mopeds an und arbeitet bis fünf Uhr nachmittags, mit einem kleinen Imbiss zur Mittagszeit. Mittlerweile läuft unentwegt die benzinbetriebene Betonmischmaschine. Die 27 selbst hergestellten Metallpfeiler sind alle eingesetzt. Das Fundament ist betoniert. Nun beginnen sie die ersten Mauern, noch unter der Erde, hochzuziehen. Die benötigten Ziegelsteine werden auf der Schulter und der Beton in einer flachen Schale an die Stelle, wo alles verbaut wird, getragen. Eine Schubkarre ist hier nicht im Einsatz. Die jungen Männer sind drahtig und singen oft bei der Arbeit. Allerdings werfen sie auch ihre leeren Getränkedosen ins Gelände. Kyaw Kyaw und ich sammeln sie dann auf. Das Neueste ist, dass es nun in Mingun ein Müllauto gibt. Daß ich das noch erleben durfte! Kyaw Kyaw und ich haben das Müllproblem bereits 2012 besprochen. Doch damals war eine öffentliche Entsorgung noch in weiter Ferne. Nun hat ein Kloster aus den Spendengeldern der Gläubigen diesen nagelneuen weiße Lkw mit roter Aufschrift gekauft. Er fährt am Mittwoch und Sonntag durch die Straßen, hält z. B. beim Teashop und klingelt. Die Leute bringen dann ihre Körbe herbei und der Müllarbeiter hilft beim Entleeren. Die Wagenladung wird am Waldrand, dem Gelände hinter dem Friedhof, in eine große Mulde gekippt. An diesem Entsorgungsmodus könnte man jetzt mit Volksbildung und Aufklärung ansetzen. Umweltschutz ist auch im Kindergarten ein Thema. Es wurde mittlerweile erreicht, dass die Kinder nicht mehr soviel Chips und Flips mitbringen, “plastic-food”, wie wir es nannten, und somit auch Müllvermeidung betrieben wird. Die Benutzung des Papierkorbs ist wichtiger Bestandteil der täglichen Erziehung. Ich selber bin auch froh, dass ich das Wasser nicht mehr aus den gekauften Plastikflaschen trinken muß, sondern von unserer, seit letztem Jahr eingerichteten Entkeimungsanlage entnehmen kann. Das ist mein bescheidener Beitrag zur Müllvermeidung in Myanmar. Ob man die Birmesen allerdings dazu bringen kann, eine Einkaufstasche mit auf den Markt zu nehmen, das weiß ich nicht. Nur gelegentlich sieht man eine solch umsichtige Hausfrau. Alles wird in kleinen Plastiktüten mit nach Hause gebracht, selbst flüssige Lebensmittel. Es ist bewundernswert, mit welcher Raffinesse die Tüten dann umgeleert werden, ohne einen Tropfen zu verschütten. Das setzt einfach langjährige Übung voraus.
Nun will ich noch etwas vom Tempelfest erzählen. Dieses Dorffest hat sich ja bereits am letzten Wochenende angekündigt durch das tagelange Vorlesen eines religiösen Buchs, bei dem sich die Mönche abwechselten. Man hörte das Rezitieren dank eines mit Generator betriebenen Lautsprechers im ganzen Dorf, Unterbrechung gabs nur von Mitternacht bis drei Uhr morgens. Ich habe keine Probleme, die religiösen Praktiken anderer Religionen zu respektieren, doch ging mir das schon an den Nerv. Am Mittwoch war diese Phase vorbei. Am Fuße der weißen Pagode wurde ein Zelt hergerichtet, in dem am Abend ein wichtiger Abt eine Predigt an die Gläubigen richtete. Gleichzeitig wurde, hundert Meter von meinem Zimmer entfernt, eine Bühne aufgebaut und abends gabs dann eine von den Mönchen gesponserte Show für die ganze Bevölkerung. Es spielte im Hintergrund ein Orchester mit vielen Trommeln, auf der Bühne gaben Frauen und Männer ihre teils religiösen, teils weltlichen Songs zum Besten. Für mich interessant war sowohl das Bühnenbild als auch die Kleidung der Sänger und Sängerinnen. Die älteren waren in traditionellen Longis gekleidet, die jüngeren erschienen im Glitzer-Minikleidchen und in Schuhen mit überirdischen Plateausohlen, die den Eindruck machten, sie kommen aus einer Orthopädie-Werkstatt. Die zarten Füße diese jungen Frauen passen einfach nicht zu diesen klobigen Teilen, doch scheint dies “in” zu sein, man sieht es auch im Fernsehen. Die Sängerinnen und Sänger erhalten während des Gesangs vom Publikum hie und da eine Lotosblüte überreicht oder eine Blumenkette umgehängt. Applaus zu geben, ist offenbar völlig unüblich, kein Mensch rührte während des ganzen Abends eine Hand. Das Publikum sitzt am Boden auf Matten, Folien, Pappe oder einfach auf der Erde. Für uns vom Kindergarten waren unsere Stühle an den Ort des Geschehens geschafft worden. Wir zogen schon vor Beginn der Show allerdings vom Mittelfeld an das äußerste Ende, weil die Lautstärke auf der nach oben offenen Dezibel-Skala nicht mehr zu orten war. Man ist auch nicht besonders heraus geputzt für diese Veranstaltung. Die Mönche sind in großer Zahl anwesend, mischen sich unters Volk, Kindermönche und erwachsene Mönche. Wie der kleine witzig-frivole Sketch, der den alltäglichen Kampf zwischen Mann und Frau auf die Schippe nimmt, bei ihnen ankommt, ist an der Miene nicht zu erkennen. Für die Kinder gibt es anlässlich des Tempelfestes ein Karussell, Spielzeugstände mit dem pädagogisch besonders wertvollen chinesischen Plastikspielzeug, Luftballonstände und natürlich reichlich zu Essen. Als um 11 Uhr nachts das für mich unverständliche Theaterstück anfing, suchte ich mein Bett auf. Doch bis zum offiziellen Schluss um drei war an Schlaf nicht zu denken. Diese Show gab es dann am drauf folgenden Tag in veränderter Form erneut. Von der Bühne war am nächsten Tag nur noch ein Gerüst von ungefähr zwanzig Bambusstangen zu sehen und die Lotusblumen und Blumenkränze lagen verwelkt auf dem Boden. Mit den Blumen aus dem Garten oder vom Markt geht man großzügig um. So hat fast täglich eine Schülerin wohlriechende weiße Blütchen aus ihrem Garten mitgebracht, die sie vor Unterrichtsbeginn noch schnell mit Nadel und Faden aufgefädelt hat. So hatten alle anwesenden Frauen ein Kränzchen auf dem Haar und den Kopf umwehte den ganzen Tag eine herrlich duftende Wolke. Sie benötigen wahrlich kein teuer gekauftes Parfüm aus dem Westen!
Momentan finden die Abschlussexamen der Zehntklässler statt. Sie gehen über acht Tage, jeweils von 9 bis 12 Uhr, jeden Tag ein anderes Fach. Ich kenne zwei sechzehnjährige Jugendliche, die daran teilnehmen. Sie nehmen diese Prüfung sehr ernst, sie entscheidet, ob sie weitermachen können oder nicht. Ein Junge, der Sohn vom Schreiner, ging zur Examensvorbereitung in eine Klosterschule im Ort. Dort ist dieser Nachhilfeunterricht kostenlos. Ansonsten verbreitet sich gerade die Unart, schon in den unteren Klassen Nachhilfe zu nehmen, rasant. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler von Lehrern unterrichtet, die gar keine sind und dann noch, zur vollen Verwirrung der Schüler, den Stoff auf eine andere Weise vermitteln als in der Schule. Die Eltern nehmen Schulerfolg schon ernst, doch wird hier nach Meinung von Kyaw Kyaw und den Kindergarten-Mitarbeiterinnen übertrieben. Dass vor allem keine Zeit bleibt für freies Spiel und die Entwicklung von sozialem Verhalten, haben sie kritisiert. Es gefällt mir schon, dass sie eine eigene Meinung zu pädagogischen Themen haben und diese kundtun, auch wenn sie gegen die allgemeine Auffassung verstößt.
Insgesamt gesehen haben die Teilnehmer meiner Schulungen über die Jahre eine gewisse Fachlichkeit erreicht. Sie können begründen, was sie tun und ihr Vorgehen Außenstehenden erklären. Durch intensive Elternarbeit wurde es möglich, dass die Elternschaft die modernen Methoden des Kindergartens verstanden haben. Inzwischen haben sie die Anerkennung und Wertschätzung der Dorfbevölkerung. Mittlerweile kommen auch Kinder aus den Nachbardörfern. Von der neuen Grundschule, die gerade erstellt wird, ist ein Synergie-Effekt zu erwarten. Wer sein Kind in die neue Schule schicken will, wird es vorher im Kindergarten anmelden.
Ich hatte bei all meinen Einsätzen immer das Gefühl, dass sie sich ausbilden lassen wollen: “We like to improve!”, hörte ich oft. Die Erzieherinnen leisten auf ihrem Gebiet anerkennenswerte Pionierarbeit. Das habe ich ihnen früher oft zum Trost gesagt, wenn sie sich über das Unverständnis in der Dorfbevölkerung beklagt haben.
Nun werde ich mich von meinem Zimmer mit meinem Haustier, einem Gecko, verabschieden müssen. Es war diesmal ein ganz vorwitziger, der sich sogar von der Decke heruntergetraut hat in meinen Koffer. Dort sammeln sich schon wieder viele Geschenke. Die Menschen hier sind einfach großzügig und wollen immer eine Freude bereiten. Auch Essenseinladungen gab es in letzter Zeit wieder fast täglich. Die Personen, mit denen ich umgehe, sind einfach liebreizend. Klappt mal etwas nicht, so muß man das mit Gelassenheit und einem Lächeln abtun und als kulturelle Eigenart verbuchen. Sie haben auch ihren eigenen Zeit-Takt. Ist er erstmal gefunden, so kann man sie für Vieles begeistern.
Am Dienstagmittag geht mein Flugzeug von Mandalay nach Bangkok. Dort habe ich zehn Stunden Aufenthalt. Erst nach Mitternacht kann ich die Maschine zum zehnstündigen Direktflug nach München besteigen. Das Gepäck geht durch, so habe ich damit keine Last. Für den langen Zwischenaufenthalt wurde mir großzügigerweise vom SES ein Zimmer im Flughafenhotel bestellt. Da kann ich mir die Wartezeit angenehm vertreiben. Um Ortszeit sieben Uhr morgens bin ich dann in München, wo mich vermutlich ein Temperaturunterschied von zwanzig Grad erwartet. Auf den Frühling zuhause freue ich mich.
Obwohl ich mich für belastbar und genügsam einschätze, hat mich dieser Einsatz schon geschafft. Die Hitze, der Lärm, der Sand und Staub, der Müll und die einfachen Wohnverhältnisse haben mir Einiges abverlangt. Zuhause werde ich meinem Körper Ruhe und Pflege gönnen.
The duty is done!
Seid nun das letzte Mal gegrüßt aus dem kleinen Mingun am großen Irawady, Christine
11. März 2017 Christine Kießling Fotorechte: Christine Kießling