Liebe Interessierte am Projekt Kindergarten Mingun!
Die zweite Woche begann mit einem Skorpion im Spülbecken, das außen am Gebäude angebracht ist. Als ich ihn entdeckte, war gerade eine Bekannte im Hof, die Tamarindensamen sammelte. Sie fischte das Tier mit Hilfe von Zweigen aus dem Becken und warf es in hohem Bogen über die Mauer. Mit ernster Miene sagte sie: “Very much poison!” Ich dachte bei mir: Dem Tier möchte ich nachts auf dem Weg zur Toilette nicht begegnen. Der Skorpion kam allerdings am Freitag wieder, oder war es auch sein Kumpel, jedenfalls kostete ihm seine Neugier diesmal das Leben.
Dann ereigneten sich in dieser Woche eine Hochzeit, ein Todesfall und zwei Novizenfeiern.
Der Vater einer früheren Schülerin ist mit 60 Jahren gestorben. Mit dem ganzen Team machten wir nach dem Training einen Beileidsbesuch. Er war in seinem Garten aufgebahrt. Zwei Tage nach seinem Tod wurde er von zehn Männern zum Friedhof, der vor dem Dorf liegt, gebracht. Dem Zug gingen zehn Mönche voraus. Die Angehörigen und Dorfbewohner folgten den Sargträgern. Vor der Begräbnisstätte ist eine überdachte Plattform, auf der an der Stirnseite die Mönche mit Blick zu den Menschen Platz nehmen und beten, wobei die Trauergäste die Worte der Mönche rhythmisch wiederholen. Nach der ca. zwanzigminütigen Zeremonie ziehen die Mönche in ihren roten Roben, im Gänsemarsch barfuß durch den knöcheltiefen heißen Sand laufend, zum Kloster zurück. Eine kleine Lucke über dem Kopf des Toten wird nun am Sarg geöffnet, um den Angehörigen einen letzten Blick auf den Verstorbenen zu gewähren. Nach diesem Abschied verließen die Witwe und die zwei Töchter die Feier. Der Leichnam wurde dann zum Verbrennungsplatz gebracht und dort eingeäschert. Diese Feuerstelle gab es letztes Jahr noch nicht. Auf dem Friedhof gibt es zum einen Erdgräber, die nur durch einen Hügel und zwei gekreuzte Bambusstangen, mit denen der Sarg getragen wurde, erkennbar sind und zum anderen gemauerte Schreine, in die der Sarg eingeschoben wird, bevor man die Öffnung zumauert. An der Kopfseite sind dann auf einer Steinplatte der Name des Toten und die Lebensdaten vermerkt. In einer Vase stehen frische oder künstliche Blumen. Besucht man ein Grab, so kniet man an der Längsseite nieder zum Gebet. Im Haus der verstorbenen Person kommen an sieben Abenden nach dem Tod Dorfbewohner zusammen, um bis spät in die Nacht Karten zu spielen und zu trinken. Dieses fröhliche Gelage erscheint uns unpassend, doch soll es die Hinterbliebenen von ihrer Trauer ablenken und die Nächte verkürzen, in denen die Seele des Toten noch im Diesseits schwebt.
Nun zum freudigen Ereignis: Für die Hochzeit wurde schon am Tag vorher im Anwesen der Brautleute ein Baldachin aus Naturmaterial mit aus Palmblättern geflochtenen Herzen am Eingang hergerichtet. Bei den unmittelbaren Nachbarn rechts und links suhlten sich Schweine im Dreck und verströmten einen unfestlichen Gestank. Ich fürchtete schon um ihr Leben, doch es gab Hähnchen zum Mahl. Am Hochzeitstag tönte schon morgens laute Musik durchs Dorf. Eingeladen sind grundsätzlich alle; ich ging mit zwei jungen Frauen auch hin. Man kommt möglichst früh und setzt sich zum Essen an einen der bereitgestellten Tische, auf denen Schälchen mit Fleisch, Gemüse und Reis stehen. Das Brautpaar geht von Tisch zu Tisch, Geschenke werden übergeben, meist Haushaltswaren oder ein Geldbetrag. Mit einem Papierfächer, auf dem die Namen des Brautpaars und die Namen der Eltern aufgedruckt sind und einem Anstecksträußchen zieht man nach einem halbstündigen Besuch wieder ab.
Dann wurde noch an zwei Tagen eine Novizenfeier abgehalten. Ein solches Fest ist eine bunte Szenerie von schön herausgeputzten Menschen und geschmückten Fahrzeugen, gezogen von Pferden und Kühen, auf denen die zukünftigen Klosterschüler sitzen. In einer langen und lauten Prozession bewegen sie sich durchs Dorf. Ich durfte letztes Jahr auch an einer solchen Feier teilnehmen. Anhand solcher immer wiederkehrender Ereignisse merke ich, dass mir das anfängliche Staunen etwas abhanden gekommen ist.
Nun zu meiner Arbeit: Alles läuft wunderbar, es könnte nicht besser sein. Kyaw Kyaw als Theorielehrer ist eminent routiniert und überrascht mich immer wieder mit seinen kreativen Beispielen aus dem alltäglichen Leben, die die theoretischen Kenntnisse veranschaulichen. May Du hat sich in den zwei Wochen nun gut in ihre Rolle als Lehrperson eingewöhnt, nachdem sie am Anfang etwas scheu war. Netterweise bekommt sie auch immer Lob von ihren Schülerinnen, das sie wirklich verdient. Sie hat eine langjährige Erfahrung und setzt die über die Jahre durch die Schulungen erworbenen Kenntnisse sicher und gekonnt um. Von ihrer Persönlichkeit her ist sie eine ganz warmherzige Erzieherin, die bisher etwas im Schatten der Kollegin stand, die den Kindergarten verlassen hat. Bei den Eltern hatte sie schon immer wegen ihrer zugewandten, fürsorglichen Art einen guten Stand. Nachdem Reader 1 mit den Basics abgeschlossen ist, haben wir am Freitag die Reader 2 a (Entwicklungspsychologie) und Reader 2 b (Methodenlehre) begonnen. Die Schülerinnen wollen am Sonntag auch Unterricht haben, sie sind wirklich enorm begeistert, besonders auch die Mütter. Sie schneiden sich die Zeit aus den Rippen, das Stillkind ist immer dabei. Ab Montag, in der zweiten Hälfte des Trainings, wird vormittags und nachmittags Unterricht erteilt. Wir haben am Freitag die Kindergartenkinder in ihre dreimonatigen Ferien verabschiedet, sodass mehr Zeit für die Schulung bleibt. Die lernzielorientierte Kleingruppenarbeit haben die Erzieherinnen den neuen Schülerinnen noch demonstriert, solange die Kinder da waren. Ab jetzt muß man sich mit Fotoaufnahmen oder Rollenspielen behelfen, um die Arbeit mit Kindern zu zeigen und praktische Inhalte einzuüben.
Der Abschlußtag im Kindergarten war mit 28 Kindern ganz schön turbulent. Es wurden Luftballonspiele und andere Wettspiele veranstaltet, wobei diese Kinder eher am Mitmachen als am Gewinnen interessiert sind. Zwei deutsche Touristinnen ließen nach einer ausgedehnten Kindergarten-Führung durch mich großzügig Geld da, sodass wir die anwesenden Mütter und die Kinder zu Eis einladen konnten. Die Eltern haben sich mit Geschenken bei den Erzieherinnen für ihre Arbeit bedankt, auch für mich gabs einen Longi, natürlich blaugemustert, der Kindergartenfarbe. “Das Kindergartenjahr ist heute zu Ende. Die Erzieherinnen in diesem Kindergarten arbeiten sehr, sehr gut. Das Geschenk ist schön, vielen Dank,” konnte ich auf Birmesisch sagen, was allgemeines Gemurmel auslöste. Die Kinder bekamen dann die Luftballons und die während des Jahres im Kindergarten angefertigten Arbeiten mit nach Hause, ebenso die etwas strubbelige Zahnbürste für die häusliche Weiterverwendung. Neue, gesponsert von meinem Zahnarzt, werden fürs nächste Kindergartenjahr, das im Juni beginnt, geliefert.
Samstag war dann noch Großputztag. Das hat schon Tradition, wenn Christine da ist. Es fanden sich insgesamt zehn Helferinnen ein. Wenn sie mal da sind, dann “fliegen die Fetzen, dann staubt es im Karton”, im wahrsten Sinn des Wortes. Durch die fehlenden Glasscheiben dringt ständig Sand und Staub in die Zimmer ein. Auch die Türen waren wieder ziemlich “klebrig” von vielen Kinderhänden über die Monate. Die lackierten Türen und Fensterläden habe ich geschrubbt. Mehrere Mütter haben unter der Anleitung der Erzieherinnen die Regale ausgewischt, die Spielzeugkisten gesäubert und den neuen Fliesenboden gewischt. Die Erzieherinnen haben auch viel Kaputtes entfernt und zur Müllhalde getragen. Doch darf ich mir nicht vorstellen, dass es dort jahrelang vor sich hinmodert. Es gibt in diesem Land keine Müllabfuhr und keine Müllverbrennung. Das ist ein Riesenproblem. Der exzessive Plastiktütengebrauch tut ein Übriges dazu, das Problem zu vergrößern. Die verunstaltete Landschaft kann einem den Gang durchs Dorf oder die Natur schon verleiden.
Nun zum wichtigsten und erfreulichsten Ereignis der Woche, der Grundsteinlegung des neuen Primaryschool-Gebäudes. Vor einiger Zeit entstand in der Dorfgemeinschaft der Wunsch nach einer eigenen kleinen Grundschule. Sie sollte als Fortführung des modernen Kindergartens kleine Klassen beherbergen und mit neuer Pädagogik geführt werden. In der Staatsschule sind ja bis zu 70 Kinder in einer Klasse. Das reduziert natürlich das methodische Arbeiten auf ein Minimum. Auch wollten die Leute vom Dorf eine Klosterschule. Ein Kloster in Mingun hat die Trägerschaft übernommen.
Der „Förderverein Myanmar e.V.”( https://www.help-myanmar.org/wp/ ) aus Saarbrücken entschloß sich, das kostspielige Projekt zu finanzieren. Dieser Verein hatte bereits 2010 den Kindergarten gebaut, der auch als Dorfgemeinschaftshaus genutzt wird. In ihm finden Hochzeiten statt, werden Mönche empfangen oder die alten Mitbürger geehrt. Wahlen oder Versammlungen für Dorfentscheidungen, Kommitee-Sitzungen und Meetings der Eltern, für deren Kind eine Patenschaft in Deutschland übernommen wurde, finden hier statt. In den Sommerferien unterrichtet dort Kyaw Kyaw Englisch und Computer, vor allem für die Patenkinder. So wird das Haus vielseitig genutzt, zum Wohle der gesamten Gemeinschaft. Mit gefällt diese Multifunktionalität. Als Kindergarten ist das Haus mit seinem Gelände wunderbar geeignet. Durch die großzügige räumliche Gestaltung bietet es die Grundlage für moderne Methoden. So hatte ich hier immer beste Voraussetzungen für meinen Arbeitseinsatz.
Das Gebäude für die Grundschule wird nun im Neunziggradwinkel zum Kindergartenbau errichtet. Nachdem Ende letzter Woche die Beratungsgespräche mit der Architektin Chan Chan und die Materialbestellungen abgeschlossen wurden, konnte am 23. 2. die Grundsteinlegung erfolgen. Schon morgens sammelten sich die Kommiteemitglieder im Hof und warteten auf den “Engineer”, also die Architektin, die mit dem Auto (“much traffic”) nach einer zweistündigen Fahrt verspätet aus Mandalay kam. Dass dieser “Fachmann” eine Frau ist, tut ihrer Autorität keinen Abbruch. Unter ihrer Anleitung wurde der Standort ausgemessen. Es wird ein großes Gebäude ( 21 x 10 m), doch bleibt im Hof noch genug Platz für die Kindergartenkinder und die zukünftige Schulkinder zum Spielen. Nach dieser ersten Handlung wurde eine kleine Zeremonie abgehalten. Eine Schale mit den klassischen Opfergaben stand schon morgens bereit: eine Kokosnuss, Bananen, Banjanzweige, Kerzen, Räucherstäbchen, einpaar Geldscheine. Ein Begleiter der Architektin betete kurz. Die Zweige sollen die Geister, die in der Erde unter dem Bauplatz wohnen, besänftigen und das Geld soll Sinnbild für den Erfolg des Unternehmens sein, die Zweige sind Buddha geweiht. Die Opfergaben erhält nach der Weihehandlung der verantwortliche Zimmermann als Geschenk. Danach suchte man eine Person, die am Montag geboren ist. Der Einzige in der Runde, der diese Bedingung erfüllte, war Kyaw Kyaw. So durfte er den wichtigsten Stab des Gerüstes ins Erdreich einschlagen, der mit einem umgestülpten Korb geschützt wurde. Am nächsten Tag kam der Bauleiter, ein Maurer, und hat mittels Senkblei und Schnurgerüst den Plan übertragen. Entlang der Schnur wurde Kalk gestreut, sodass man herrlich die Einteilung des Baus sehen kann. Es gibt drei Klassenzimmer und ein Lehrerzimmer zur Straße hin, vor den Eingängen eine Veranda. Vom Aussehen her weist das Gebäude den gleichen Stil auf wie der Kindergarten, so ergeben beide Gebäude zusammen eine gute Optik. Dann übertrug der Vorarbeiter vier jungen Männer aus dem Dorf die Aufgabe, zu graben. Sie haben mit Pickel und Schaufel den Linien entlang die Gräben für das Fundament ausgehoben. Gleichzeitig wurden mit dem Tucktuck immer wieder Ziegelsteine angeliefert und schon neben den Aushub bereitgestellt. Es hatte schon eine ordentliche Hitze, so haben sich die Männer abgewechselt, zwei arbeiteten, zwei machten Pause. Ich habe sie und die Tucktuckfahrer in den gegenüberliegenden Teashop eingeladen auf einen Kaffee, sechs Personen 1,50 €. Bei dem Preis ist es leicht, eine Freude zu bereiten. Ich bin gespannt, ob sie am Sonntag auch antreten.
Es ist so ein glücklicher Zufall, dass ich gerade zu der Zeit da bin, wenn der Bau der Schule begonnen wird. Ich werde Euch über die Baufortschritte der nächsten zwei Wochen auf dem Laufenden halten. Sicher wird auch auf der Homepage des Vereins über dieses wichtige Projekt berichtet.
Herzlich grüßt alle wieder aus dem kleinen Mingun am großen Irrawady, Christine
26.02.2017 Alle Fotorechte: Chrsitine Kießling