Liebe Freunde und Unterstützer des Kindergarten Mingun!
Am heutigen Samstag bin ich nun genau seit einer Woche, zu meinem vierten Einsatz seit 2012, hier. Nach der Landung auf dem Flughafen in Mandalay hatte ich wieder einen reizenden Empfang mit duftenden Blumenketten und herzlichen Umarmungen. In Mingun wurde ich auch schon erwartet und von meinen Schülerinnen und einer kleinen Kinderschar willkommen geheißen. Nach einer Rast unternahm ich einen Gang durchs Dorf. Von allen Seiten kamen Mingalaba- und Hallorufe, Lachen und Winken. Es ist besonders erfreulich, alte Leute wohlbehalten wiederzusehen. Großen Spaß macht es, die ehemaligen Kindergartenkinder wiederzusehen und sich an ihre Eigenarten zu erinnern. Die Kinder aus meiner ersten Gruppe sind ja nun schon vier Jahre älter. Der Abend begann mit einer Tucktuckfahrt ans andere Ende des Dorfs zur Einladung bei einer Familie, die ein schmackhaftes Essen auftischte mit Hühner- und Schweinefleisch, Fisch und vielfältigem Gemüse. Bei solchen Einladungen bekommt man dann von seinen Nebensitzern die leckersten Stücke aus den Schalen, die auf dem Tisch stehen, auf den Teller gelegt. Für uns wirkt es befremdlich, wenn eine andere Person in unserem Teller herumhantiert, doch ist es hier ein Zeichen von Fürsorge und Respekt gegenüber dem Gast. Es ist angebracht, sich unmittelbar nach Beendigung des Essens zu verabschieden, damit die Gastgeber selber essen können. Sie essen nie mit den Gästen, kommen nur an den Tisch, um nach zu schöpfen und fordern auf, ordentlich zuzugreifen. Wir sind nach dem Essen noch über den Jahrmarkt geschlendert, der anlässlich des Tempelfestes aufgebaut war. Das dort angebotene Kinderspielzeug made in China beleidigt immer wieder aufs Neue meine Augen.
Am nächsten Morgen nahm ich an meinem gewohnten Tisch im Teashop Platz. Es war für mich ein Itschakwe (in Fett gebackenes Hefeküchlein) reserviert, das ich zusammen mit Pulverkaffee genoss. Der Teashop ist immer noch der Nabel der Welt, es sitzen immer noch die gleichen Leute am Stammtisch, es biegen immer noch die gleichen Mopedfahrer um die Kurve. Nur die Vögel nisten in einem anderen Ventilator, er ist ja eh nicht eingeschaltet, wir haben ja Winter. Vormittags kamen dann die neun Mitglieder des Dorfkommittees zusammen, die mit mir über das mitgebrachte Geld berieten. Ein Kindergarten aus Bonn hatte den Jahreserlös seiner Feste gespendet, viele meiner Freunde haben kleine und grosse Summen eingebracht, durch Benefizveranstaltungen und Bazare kam über drei Jahre ebenso Geld zusammen. Der Großteil ist auf ein Sparbuch, das auf meinen Namen lautet, eingezahlt worden. Auf das Guthaben haben drei Personen Zugriff, die mein Vertrauen genießen. Sie werden mich informieren, wenn sie etwas entnehmen und den Verwendungszweck nennen. Ein Teil des Geldes wird für Mikrokredite verwendet, um bestimmten Familien Unterstützung zu geben. So hat die Allgemeinheit auch einen Vorteil von dem eingebrachten Geld und das Guthaben wächst durch die 5 % Zins, der moderat ist im Vergleich zu den 15 %, die die Wucherer verlangen. Der Abend war sehr amüsant. Kyaw Kyaw und ich waren mit drei Tourist-Police-Officers im Viewpoint Restaurant verabredet. Es wäre vor vier Jahren noch völlig undenkbar gewesen, solche Herrschaften so ungezwungen zu einem privaten Plausch zu treffen. Die Themen bewegten sich zwischen der Bundesliga, speziell Bayern München, der aktuellen politischen Lage und dem Geisterglauben in der Bevölkerung. Die mitgebrachten Schweizer Taschenmesser nahmen sie mit leuchtenden Augen in Empfang.
Am Montag war der erste Kindergartentag. Darauf war ich besonders gespannt. Im Lauf der Woche sah ich mit Genugtuung, dass die Erzieherinnen alles Gelernte in ihren Tagesablauf eingebaut hatten und die große Gruppe mit Umsicht und Routine leiteten. Auch die eingeführten Hygienemaßnahmen (Hände waschen, Zähne putzen, Nägel schneiden am Freitag , wie es der Schularzt empfahl) werden konsequent eingehalten. Enttäuscht war ich vom Zustand der Spielmaterialien. Die waren etwas verlottert. Alles wird viel genutzt und zerspielt. Holzpuzzles überleben, sie haben die Robustheit, die diesen Kindern angemessen ist. Über Stunden habe ich Bilderbücher gereinigt und zusammengeklebt. An die Erzieherinnen appellierte ich, das regelmäßig zu machen. Ich habe durchaus auch Verständnis für die Vernachlässigung. Sie arbeiten seit einigen Monaten mit reduzierter Besetzung, da eine Schülerin, die informelle Leiterin, den Kindergarten verließ, um an einer Staatsschule als Lehrerin zu arbeiten, wo sie das Doppelte verdient. Sie hat heute angerufen. Wir treffen uns, wenn sie Ende des Monats ins Dorf kommt. Am Montagnachmittag habe ich mit meinen zwei Neulehrern besprochen, wie wir das Unterrichten organisieren. Erfreulicherweise sind sechs Schülerinnen zum Training angemeldet. Die Erzieherinnen des Kindergartens an der Klosterschule in Mandalay wurden leider nicht freigestellt, um an dieser Ausbildung teilzunehmen. Unter den sechs Schülerinnen sind drei Mütter aus dem Dorf, die bereits ihr Kind im Kindergarten hatten. Ich bin darüber tief beglückt, weil sie durch ihre neuen Kenntnisse der restlichen Elternschaft signalisieren können, welchen Sinn ein Kindergarten mit diesen neuen Methoden hat. Es muss immer noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, z. B. Über die Wichtigkeit von Spiel für die Früherziehung. Die Eltern erkennen den Wert von Bildung für die Zukunft ihrer Kinder, doch wird unter Bildung nur Lesen und Schreiben verstanden. Das sollte am besten schon im Kindergarten gelernt werden. Rückblickend über die vier Unterrichtstage lässt sich sagen, dass alle Schülerinnen sehr wissbegierig und hoch motiviert sind, aber auch kritisch hinterfragen. Es herrscht eine gute Arbeitsatmosphäre bei heiterer Stimmung. Sie halten die viertelstündige Verspätung am Beginn konsequent ein, ich hänge die Zeit am Ende gnadenlos an. Die Lehrtätigkeit bestreiten meine zwei Lehrer, ich sitze nur beobachtend dabei. Kyaw Kyaw ist für den Theorieteil zuständig, den er anhand meiner ausgearbeiteten Reader Kapitel fur Kapitel vermittelt und mit treffenden Beispielen ausschmückt. Kopierte Ordner für 10 Schülerinnen habe ich mitgebracht. Kyaw Kyaw ist erfahren im Unterrichten, da er in den Sommerferien im Kindergartengebäude immer Englisch- und Computerunterricht für die Patenkinder gibt. Die im Kindergarten seit 2010 tätige Erzieherin stellt die praktischen Inhalte vor. Ich helfe ihr bei der Vorbereitung. Sie fertigt Aufschriebe an, sodass sie eine Richtschnur hat für die Wiederholung des Kurses, auch wenn ich nicht mehr da bin.
Gestern gab es eine Einladung bei einem Gemeinderat, wo es Krabben aus dem Irrawady zum Essen gab. Es ist eine Seltenheit, sie zu bekommen. Sonst kocht die Frau des ehemaligen Bürgermeisters für mich mit. Ich bekomme um 11 Uhr den Henkelmann geliefert, fünf Schalen gestapelt mit Reis, Fisch, Gemüse, Tamarindenpaste. Die Paste ist selbst gemacht. Wir haben ja im Hof des Kindergartens große alte Tamarindenbäume, die viele Kapseln abwerfen. Sie werden von den Frauen im Dorf aufgelesen, entkernt und dann verarbeiten zu einer sauren Paste. Es wird allgemein viel aus der Natur gesammelt, getrocknet und in irgendeiner Form zur kostenlosen Ergänzung des Speiseplans hergenommen. Ist die Köchin abwesend, so gehe ich in meine Dorfwirtschaft, wo es eine feine Nudelsuppe mit viel Gemüse und etwas Hähnchenfleisch gibt, eine nette Abwechslung zum Reis. Im Oktober letzten Jahres wurde am Ufer des Irrawady das Gardencafe eröffnet, eine Bereicherung für die kulinarische Landschaft in Mingun. Der Betreiber ist ein Franzose, der schon zehn Jahre in Birma lebt. Er gibt sechs jungen Leuten hier Arbeit und Brot. Der Manager hat sein gutes Englisch in der Gardenschool gelernt, die der Förderverein Myanmar betreibt. So sieht man, dass diese Entwicklungsarbeit Früchte trägt. Ich werde in diesem Cafe in meiner Freizeit manchmal dort einkehren, einen Fruchtdrink nehmen und mit Blick auf den Irrawady Socken stricken.
Am Sonntag wird eine Architektin aus Mandalay kommen, um den Standort der neu zu bauenden Grundschule auszumessen. (Die Architektin ist Chan Chan ) Es war Wunsch des Dorfes, eine eigene Grundschule zu haben, die nicht dem Staat, sondern einem Kloster unterstehen soll. Das Gebäude wird im großen Hof des Kindergartens erstellt. So entsteht ein echtes Child-Center Mingun.
Soweit nun die neuesten Vermeldungen aus dem kleinen Mingun am grossen Irrawady. Voll Tatendrang grüßt alle herzlich, Christine