Liebe Freunde und Bekannte, liebe Unterstützer des Kindergartens Mingun!
Die vierte Woche hat begonnen, bald ist “Halbzeit”. Ich werde die kommende Woche viel Praktisches machen, da Kyaw Kyaw aus familiären Gründen die ganze Woche frei hat. Meine Schülerinnen bekommen verschiedene Techniken aus dem Bereich bildnerischen Gestaltens gezeigt, neue Spiellieder vorgestellt und wir werden zusammen Klanggeschichten erfinden. Letztes Mal habe ich eine Sammlung von Instrumenten für die Kinderhand mitgebracht, die wir nun ausprobieren wollen. Die Erzieherinnen sind immer mit vollem Herzen dabei, wenn sie etwas für die sofortige Anwendung im Alltag erhalten. Blitzschnell und unter viel Geschnatter werden dann die Texte von Liedern, Handgesten- oder Fingerspielen ins Burmesische übersetzt und an ihre Kultur angepaßt. Oftmals spielen sie alles am nächsten Tag schon mit den Kindern nach. Mir ist wichtig, dass der Kindergarten die eigene Kultur erhält und nicht “englisch/deutsch überfrachtet” wird.
Ich sitze am Sonntag beim Frühstück vor meinem “Itschaaque”-Küchle und lasse die Welt an mir vorüberziehen. Die Kleine vom teashop wird gerade gewaschen, am Hals, unter den Achseln und am Po gepudert und dann angezogen. Heute trägt sie eine lange Hose, ein Kleidchen darüber und eine Jacke mit Kapuze, es ist ja Winter (25 Grad). Dann wird sie auf den Schoß genommen, die runde Tanaka-Steinplatte steht auf dem Tisch. Die Platte wird genäßt mit ein paar Spritzern Wasser und dann das Holzstück vom Tanaka-Baum so auf der Platte gerieben, dass sich die Bestandteile aus dem Aststück lösen und auf dem Stein absetzen. Danach wird das gewonnene Hautpflegemittel auf dem ganzen Kindergesicht verteilt. Zum Schluß gibt es einen Strich über den Nasenrücken und Kreise auf die Pausbacken. Rein mit den kleinen Füßen in die Schlapper, das Kind ist fertig gerichtet, von der Tante. Jede Mutter, die etwas auf sich hält, vollzieht morgens diese Prozedur. Die Mutter der Kleinen arbeitet derweil in der Kaffeeküche und schüttet in kleine Henkelgläser zwei Zentimeter hoch Kondensmilch ein. Bei Bestellung wird diese gezuckerte Milch dann mit Kaffee aufgegossen. Auf der Straße halten zwei Bemos, es entsteigen ungefähr 40 Schulkinder. Sie sind in Begleitung von zwei Mönchen und zwei Lehrerinnen, die man an ihrer grün-weißen Kleidung erkennt. Sie machen einen Schulausflug, um die weiße Pagode zu besuchen. Nach einer Stunden kehren sie zurück, trinken und knuspern etwas und fahren in ihren vollgestopften Bussen nach Hause zurück.
Der Schreiner will heute, am Sonntag, mit unserem Auftrag beginnen. Er hat seine Arbeitsstätte neben dem Wohnhaus, das in der Nachbarschaft in einem großen Garten steht. Es ist eine, in unseren Augen, etwas kuriose Open-Air-Werkstatt. Die Ausstattung besteht aus Motorkreissäge, elektrischen Bohrern, diversen Handsägen und Hobeln bis hin zu unterschiedlichen Zwingen und Winkeln. Da er in unmittelbarer Nähe zum Kindergarten arbeitet, kann er schnell vorbeikommen, wenn noch eine Unklarheit besteht oder etwas nachmessen werden muß. Es wird bestimmt alles wunderbar. Bei der Büroeinrichtung vor zwei Jahren hat er sich auch richtig ins Zeug gelegt.
Am Dienstag waren die Kindergartenkinder zu einem Lerngang auf einem nahegelegenen Erdnußfeld am Irrawady-Ufer. Solche Felder werden noch mit dem von einem Rind gezogenen Holzpflug bearbeitet. Die Bäuerin stand bereit und hat den Kindern eine Pflanze ausgegraben, die Wurzeln gezeigt und diejenigen Teile, aus denen mal die Erdnüsse entstehen. Die Kinder durften die Pflanze mitnehmen und sie werden das Wachstum im Kindergarten weiterbeobachten und nach drei Monaten die eigene Ernte erleben. Die daheimgebliebene Teilgruppe hatte inzwischen “Turnstunde mit sandgefüllten Plastikflaschen”. Ich gebe den Schülerinnen immer auch Anregungen, wie sie kostenlose Dinge aus ihrem Umfeld im Kindergarten einsetzen können. Dazu haben sie auch selber viele Ideen.
An diesem Tag durfte ich überraschend zu einer Schneiderin ins Nachbardorf. Ich werde burmesisch eingekleidet, um bei einer “Noviciation Ceremony” teilzunehmen, zu Beginn des nächsten Jahres. Die Idee zur Feier und zu meiner Teilnahme hatte Myat Kyi Win, die Frau des Ortsvorstehers. Sie war letztes Jahr an Krebs erkrankt und ist wieder wohlauf. Die Familie feiert dieses Fest, bei dem die drei Kinder zu Novizen werden, als Dank für die Genesung. Es werden auch noch Kinder aus der Verwandtschaft eingekleidet. Einen Festzug dieser Art habe ich schon mehrfach am Kindergarten vorbeiziehen sehen, letztes Mal sogar mit einem Elefanten, sonst nur mit geschmückten Pferden und Ochsenkarren. Über diesen “privaten” Höhepunkt meines Aufenthalts werde ich dann sicher in zwei Wochen berichten.
Jemanden einladen, jemandem etwas schenken, hat große Wichtigkeit in diesem Land. Dies gilt gegenüber allen, doch besonders genießen alte Menschen und ausländische Besucher diese Großzügigkeit. Essenseinladungen sind üblich, auch wenn die Menschen nicht reich sind. Oft zeigt man mit kleinen Geschenken seine Dankbarkeit. So bekomme ich fast täglich von Kindergartenkindern etwas Obst, einpaar gekochte Wachteleier oder Blumen aus dem eigenen Garten geschenkt. Meine Schülerinnen bringen reihum zum Unterricht immer etwas Eßbares mit, gekauft oder selber hergestellt, zum Zugreifen für alle. Übergibt ein Kind ein Geschenk, so wird es angeleitet, den Gegenstand mit beiden Händen zu reichen. Erhalte ich von einer Schülerin etwas, so hält sie es mit der rechten Hand und führt die linke Hand an den Ellbogen ihres rechten Arms. Kommt man in ein Haus, erhält man immer den bequemsten Stuhl hingestellt. Das ist birmesische Höflichkeit. Dies lernen schon die kleinsten Kinder. Auch auf religiöse Erziehung wird im Elternhaus geachtet. Jedes Haus, wenn auch noch so arm, hat in einer Ecke einen Buddha-Schrein oder mindestens eine Abbildung. Im Kindergarten haben wir auch ein religiöses Zentrum an der Wand. Der Kindergartentag beginnt mit mehreren Gebeten, die die Kinder alle auswendig können. Sie wissen auch, wann man sich verneigen muß. Gelegentlich geht eine kleine Gruppe mit einer Erzieherin zur nahegelegenen weißen Pagode. Am Fuß der Pagode werden sie von Dorffrauen, die dort Blumen und Räucherstäbchen verkaufen, begrüßt und erhalten diese Opfergaben natürlich umsonst, weil sie sich freuen, dass die Kinder zur Pagode kommen.
Der Schreiner hat uns am Freitag mit einem Teil der Ausstattung für die Bücherei beliefert. Am Unterschrank fehlen nur noch die Türen. Es sieht alles ganz gut aus. Das harte Teakholz wird auch den hier allseits tätigen Insekten Widerstand leisten. Fortsetzung der Möblierung folgt.
Samstag und Sonntag ist der Kindergarten und die Schule geschlossen. Die Kinder der umliegenden Häuser nutzen diese freie Zeit gern für den Besuch des Kindergarten-Außengeländes: rauf auf die Schaukel, die Wippe, die Ballancierstange, rein in die Sandkiste, fangen, verstecken, Ballspielen und die ganze Pallette der traditionellen Kinderspiele, die im Freien möglich sind: eine Kinderkultur, die bei uns am Aussterben ist durch die Verhäuslichung und Mediatisierung der Kinder. Auf der Veranda sammeln sich die Mädchen, alle interessiert an Webreifen, Strickliesl und Freundschaftsbändchenflechten. Am Ende des Nachmittags, wenn’s mir reicht, rufe ich dann auf birmesisch: “Kinder, für heute ist Schluß, heim zur Mama, schlafengehen!” Da lachen sie, da kein Kind sich vor neun Uhr abends auf die Matte legt. Zwei Schritte, Tür auf, Tür zu, der Lärm ebbt ab, ich bin privat. Dann bekomme ich vielleicht noch Besuch von einem Spatz, der sich durchs offene Fenster ins Zimmer verirrt hat, da das Fenster ja kein Glas hat. Oder ich höre meinen täglichen Besucher, den Holzwurm, der immer fleißig nagt, ich weiß nicht, an welchem Möbelstück. Wenn es dämmert und ich die Fensterläden wegen der Moskitos schon geschlossen habe, kommt hie und da mein Freund, der Gecko aus seinem Versteck. Er wählt noch die gleichen Ein- und Ausgänge an der Decke wie vor zwei Jahren. Ist er derselbe, ist es Kind oder Kindeskind? Wer kennt schon die Generationenfolge von tropischen Kleinechsen?
Eine wiederum intensive Arbeitswoche geht am heutigen Samstagabend zu Ende. Für nächste Woche habe ich eine Power-Week angekündigt, verlängerter Unterricht, damit wir alles schaffen und für die letzten zwei Wochen etwas vorgearbeitet haben. Am Ende der Woche steht dann zur Belohnung unser Weihnachtsdinner an, zu dem wir großzügigerweise von Deutschland aus eingeladen worden sind.
Ich wünsche allen, die mit mir und dem Projekt freundlich verbunden sind, ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest! Viel Freude und Ruhe an den Feiertagen, die hier im kleinen Mingun am großen Irrawady spurlos vorübergehen. Herzlichst, Christine